Das Land spricht. Sámi Horizonte

Veranstalter
MARKK - Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt
PLZ
20148
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.09.2023 - 31.03.2024

Publikation(en)

Cover
Laug, Anna-Sophie (Hrsg.): Das Land spricht. Sámi Horizonte. The Land Has a Mind to Speak. Sámi Horizons. Hamburg 2023 : MARKK - Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt, ISBN 978-3-944193-24-3 131 S.
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lea Garcia, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Der nordische Kolonialismus – in seinen historischen und aktuellen Formen – ist für die Sam:innen bis heute deutlich spürbar“ liest man beim Eintreten in den Ausstellungsraum und wird durch die zuweilen bedrohlichen Klänge der Videoinstallation „Dalvedh“ der Künstlerin Sissel M. Berg (2014) auf die ernste und emotionale Thematik eingestimmt. Der Hauptraum der Ausstellung im Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt (MARKK) in Hamburg ist durch eingezogene Trennwände in verschiedene Bereiche gegliedert und zeigt sowohl ethnologische Objekte der hauseigenen Sammlung als auch zeitgenössische Kunstwerke samischer Künstler:innen. Hier treffen historische Jagdwerkzeuge, Kleidungsstücke und Schmuck auf aktuelle Fotografien, Videoinstallationen und Textilobjekte. Doch auch die historischen Gegenstände werden ästhetisch sehr modern präsentiert, in schlichten Glaskästen, manchmal auf grellen Hintergrundfarben. Anstelle von Texttafeln sind viele Erläuterungen direkt auf der Wand zu finden – auch das trägt zu einer modernen Gesamtästhetik bei. In der Mitte des Raums befindet sich eine Art Innenhof, in dem ausschließlich historische Objekte Platz finden. Hier ist es, unterstrichen durch die tiefblaue Wandfarbe, dunkler, sodass die beleuchteten Objekte besonders zur Geltung kommen.


Abb. 1: Ausstellungsansicht „Das Land spricht. Sámi Horizonte”
Mit freundlicher Genehmigung des MARKK, © MARKK Foto: Paul Schimweg

Die Ausstellung „Das Land spricht. Sámi Horizonte“ ist Teil eines Kooperationsprojekts mit dem Kunsthaus Hamburg, in dem bereits zuvor die zugehörige Ausstellung „Speaking Back. Decolonizing Nordic Narratives“ zu sehen war.1 Explizites Ziel des Projektes ist es, „für die Geschehnisse und Auswirkungen des nordischen Kolonialismus zu sensibilisieren“2 sowie die gegenwärtige Fortschreibung kolonialer Strukturen und „widerständige Positionen und Stimmen der betroffenen samischen Bevölkerung“ (S. 6) ins Zentrum zu rücken. So waren auch samische Künstler:innen, Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen Teil der Ausstellungsentwicklung. Durch diese Vorgehensweise und die Berücksichtigung samischen Wissens sollen neue Perspektiven auf die Objekte der Sápmi-Sammlung3 des MARKK erschlossen und in die Museumsarbeit integriert werden. Aktuelle Auswirkungen des nordischen Kolonialismus spiegeln sich verschiedentlich in der Ausstellung wider: So zeigen beispielsweise die Industriefotografien von Marja Helander sowohl Umweltzerstörung als auch Ungleichheit in der Entscheidungsmacht hinsichtlich der Nutzung von Land. Zudem werden auch aus historischer Perspektive Rassismus und Zurschaustellung thematisiert, wie anhand der Dokumentation sogenannter „lebender ethnographischer Ausstellungen“ überdeutlich wird, die auch im Tierpark Hagenbeck in Hamburg zu sehen waren.

Auffällig sind in dieser Hinsicht die Ausstellungstexte sowie einige in der Ausstellung platzierte Interviewausschnitte. Formulierungen aus der Ich-Perspektive erlauben hier eine besondere Nähe. Die zum Teil intimen Auseinandersetzungen mit Familiengeschichte, Identität und Schmerz, an der Besuchende teilhaben dürfen, ist berührend und bewirkt durch die Emotionalität eine Solidarisierung mit den Akteur:innen. Im Sinne der andauernden Debatten um das Infragestellen von Machtstrukturen, ungleichen Hierarchien und Deutungshoheiten im Museum sind diese Beiträge besonders hervorzuheben, wird hier doch bewusst mit diesen Strukturen gebrochen und im Zuge einer dekolonialen Praktik subalternen Stimmen ein Raum geboten. Die beiliegenden Texte werfen weitere Fragen nach der Autor:innenschaft auf und machen neugierig auf die Akteur:innen, die ihre Geschichten hier mit den Besuchenden teilen.

Wenngleich diese Beiträge eine große Wirkkraft in der Ausstellung entfalten, bleiben einige Fragen offen. So wird zum Teil nur durch die Erläuterungen im Katalog klar, wer eigentlich die so prägnant Zitierten sind und in welchen größeren biografischen Zusammenhängen ihre Äußerungen stehen. Des Weiteren werden keine Informationen darüber bereitgestellt, wie dieses Interviewmaterial entstanden ist. Und während bei den roten Interviewtafeln deutlich wird, dass aus einer persönlichen Perspektive gesprochen wird, macht diese spannende Inszenierungsentscheidung bei einigen Objektbeschreibungen halt – hier wird keine Differenzierung zwischen wissenschaftlich-kuratorischen und persönlichen Kontextualisierungen sichtbar.

Insbesondere in den Bereichen der Ausstellung, in denen sich die modernen Kunstwerke unmittelbar auf benachbarte historische Objekte beziehen, sich diese aneignen, sie kritisieren oder umdeuten, entwickelt sich eine dekoloniale Dynamik, die eine Anerkennung andauernder Folgen des Kolonialismus ein- und eurozentrische Praktiken der Wissensproduktion herausfordert.4 Eindrücklich zeigt dies die Intervention „Umschlossen von den Farben der Vorfahren“ von Katarina Pirak Sikku: Ein an der Wand befestigter Glasschaukasten präsentiert eine historische Tabakschachtel (doassa) aus Holz, um welche sich eine direkt mit Acrylfarbe auf die Wand aufgetragene Kreisornamentik erstreckt, die sich bei genauerem Hinsehen auch auf der Schachtel selbst wiederfindet. Dadurch soll eine „samische Umgebung“ für die Gegenstände geschaffen und ihnen „mitgeteilt [werden], dass die samischen Gemeinschaften fortbestehen“, so der Ausstellungstext. Hier werden etablierte Strukturen aufgebrochen und ein Moment dekolonialen Widerstands möglich – wenngleich natürlich im Raum genau derjenigen Institution, die hier (auch mit Blick auf die eigene Sammlungsprovenienz) in der Kritik steht, und von deren Rahmenbedingungen die Ausstellung letztlich geprägt ist. Gerade aufgrund dieses Spannungsverhältnisses jedoch scheint der museale Raum ein großes Potenzial für diese Art der Auseinandersetzung zu bieten.5


Abb. 2: Ausstellungsansicht „Das Land spricht. Sámi Horizonte”
Mit freundlicher Genehmigung des MARKK, © MARKK Foto: Paul Schimweg

Auch im Katalog werden die Herausforderungen, die mit der Ambition einhergehen, ein dekoloniales Projekt im Rahmen einer westlich geprägten Ausstellungs- und Museumspraxis zu realisieren, deutlich. So sprechen die Kuratorin Anna-Sophie Laug und die Künstlerin Outi Kaarina Pieski über die Problematik, Konzepte wie Kunst und Kunsthandwerk voneinander abzugrenzen, die auch an Diskussionen über Definition und Kategorisierung verschiedener Museumsformen erinnert.6 Gleichzeitig wird beim Gespräch über das samische Konzept des duodji deutlich, wie schwierig es ist, im Rahmen einer solchen Ausstellung die Differenzen zwischen verschiedenen epistemologischen Systemen zu überbrücken. So erklärt Pieski: „Im duodji ist das große Wissen der samischen Philosophie gespeichert, die immer mit der Praxis verbunden ist. [...] Wenn man also das duodji nur als Exponat zeigt, verliert es viel von seiner ursprünglichen Bedeutung” (S. 96).

Insgesamt ist die an vielen Stellen explizite und zum Teil sehr starke museale (Selbst-)Kritik hervorzuheben. Diese intensive institutionelle Reflexion, die die Ausstellung durchzieht, wird beispielsweise anhand der Frage deutlich, wie Museen durch die Präsentation, Inszenierung und Kontextualisierung ihrer Objekte zur Festigung von Stereotypen beitragen können, etwa indem sie bestimmte Imaginationen reproduzieren; oder aber gleichermaßen das Potenzial haben, an der Dekonstruktion dergleichen mitzuwirken: So wird ein augenscheinlich alltagstaugliches Geweihmesser als unpraktisches touristisches Souvenir kontextualisiert, das zeigt, wie sich stereotype Vorstellungen von Authentizität und Herkunftsgemeinschaften in Objekte einschreiben können.


Abb. 3: Messer mit Messerscheide aus Rentiergeweih, Sápmi [vor 1935]
Mit freundlicher Genehmigung des MARKK, © MARKK Foto: Paul Schimweg

Gleichermaßen werden bei den historischen Gegenständen immer wieder Bezüge zur Gegenwart hergestellt. Insbesondere bei den Trachten wirken solche Kontextualisierungen einem exotisierenden Blick und der Vorstellung von einer „in der Zeit eingefrorenen“ Kultur von Herkunftsgemeinschaften entgegen. Auch an dieser Stelle wären moderne Gegenstücke spannend gewesen. Die Verweise auf heutigen samischen Alltag machen neugierig auf eine vergleichende Gegenüberstellung und könnten die differenzierte Handhabung der zeitlichen Ebenen auch im Materiellen widerspiegeln.


Abb. 4: Samische Frauenkappe (ládjogahpir), Sápmi [vor 1914]
Mit freundlicher Genehmigung des MARKK, © MARKK Foto: Paul Schimweg

Die Künstler:innen äußern ihre Kritik subversiv bis offen. So werden beispielsweise ethnologische Museen problematisiert und die bildende Künstlerin Outi Kaarina Pieski bringt explizit den Wunsch nach Restitution zum Ausdruck (S. 108). Aber auch Stimmen aus dem Museum finden diesbezüglich klare Worte. Die institutionelle Verstrickung in die kritisierten kolonialen Strukturen wird etwa deutlich, wenn die Kurator:innen auf den „Verlust von samischen Kulturgütern und –praktiken sowie die mutwillige Entwendung von Artefakten“ verweisen (S. 18).

Gleichzeitig wird bei einem Blick auf die Objektangaben bewusst, welch großer Herausforderung sich Museen mit ethnologischen Sammlungen im Kontext von Provenienzen und Restitution gegenübersehen: Die Hersteller:innen praktisch jedes Objekts der Ausstellung sind ungeklärt. Angesichts dieses schwierigen Erbes ist jedoch zu vermerken, dass das Museum heute darum bemüht ist, für künftige Generationen einen anderen Umgang mit Provenienz zu etablieren. So wurden im Zuge der Ausstellung mehrere Objekte für die Sammlung direkt bei den Künstler:innen erworben und ihr Wissen zu diesen als Expert:innen ihres Kulturerbes berücksichtigt und festgehalten. Im Katalog finden sich weiterführende Informationen zu den verschiedenen Sammlern, von denen das Museum Objekte erworben hat. Zudem wird auf potenziell problematische Erwerbskontexte hingewiesen; so stellen die Kurator:innen die Frage, „inwiefern das koloniale Machtgefälle in Sápmi und die daraus resultierende prekäre Situation der Sam:innen sowie die Verdrängung ihrer Kultur einen Einfluss auf den Verkauf dieser samischen Kulturgüter hatte“ (S. 34).

Nach dem Besuch einer derart (selbst-)kritischen Ausstellung sieht man sich am Ende mit einem doch eher zurückhaltenden Statement zu Provenienz und Restitution konfrontiert. In der Stellungnahme zum aktuellen Stand der Aufarbeitung heißt es: „Zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Gegenstände waren die Sam:innen seit Langem politisch und wirtschaftlich durch Kolonialisierung stark benachteiligt. Es ist davon auszugehen, dass dieses koloniale Machtgefälle […] ausgenutzt wurde. […] Eine umfassende Aufarbeitung durch ein Provenienzforschungsprojekt steht noch aus“. Sie scheint nicht recht zum soeben Gesehenen zu passen, nach dessen Spannungsbogen einer kontinuierlich differenzierten Auseinandersetzung man ein geradezu aktivistisches Positionspapier mit konkreten Maßnahmen erwartet hätte. Auch im Katalog wird darauf verwiesen, dass ein museumseigenes Provenienzforschungsprojekt zu den etwa 1.300 Objekten der samischen Sammlungsbestände noch aussteht. Gleichzeitig erkennt die Museumsleitung ausdrücklich an, dass auch das materielle Erbe eine zentrale Rolle für Selbstbestimmungsbewegungen spiele (S. 8–10). Hier scheint man ganz mit Pieskis feministischem Konzept der „Rematriierung“ von Objekten übereinzustimmen, über das sie sagt: „Die zurückgeführten Gegenstände sind für uns in dem Sinne heilsam, als wir mit ihrer Hilfe unsere Geschichte neu schreiben können [...]. Dadurch können wir eine neue Identität erlangen und eine widerstandsfähigere Vorstellung davon bekommen, wer wir sind und wohin wir gehen“ (S. 108).

Anmerkungen:
1 Speaking Back. Davi muitalusaid dekoloniseren / Decolonizing Nordic Narratives. Kunsthaus Hamburg, 03.06.–01.10.2023, https://kunsthaushamburg.de/speaking-back-decolonizing-nordic-narratives/ (17.01.2024).
2 Anna-Sophie Laug (Hrsg.), Das Land spricht. Sámi Horizonte / The Land Speaks. Sámi Horizons, Hamburg 2023, hier S. 18.
3 Sápmi bezeichnet das Gebiet, in dem Sami leben, und erstreckt sich über die nördlichen Teile der heutigen Staaten Norwegen, Schweden und Finnland sowie die russische Kola-Halbinsel.
4 Gurminder K. Bhambra, Postcolonial and Decolonial Dialogues, in: Postcolonial Studies 17,2 (2014), S. 115–121. Siehe auch Albert Guaffo, Dekolonisierung, in: Dirk Göttsche / Axel Dunker / Gabriele Dürbeck (Hrsg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur, Stuttgart 2017, S. 131–133.
5 Siehe auch Barbara Sjoholm, From Lapland to Sápmi. Collecting and Returning Sámi Craft and Culture, Minneapolis 2023, sowie die Rezension von Solveig Marie Wang, in: H-Soz-Kult, 02.11.2023, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-137397 (17.01.2024).
6 Vgl. Regina Wonisch, Reflexion kolonialer Vergangenheit in der musealen Gegenwart? Kuratorische Herausforderungen an der Schnittstelle von ethnologischen Museen und Kunst, 2. überarb. Aufl., Stuttgart 2018 (1. Aufl. 2017).